Autorin: Nikki Henderson

 

Am 13. November 2019 war ich dabei, das Deck der La Vagabonde – ein Outremer 45 Katamaran – zu enteisen. Letzte Vorbereitung auf unsere bevorstehende Abreise aus Virginia in den USA, mit dem Ziel … irgendwo in Europa!

 

Acht Tage vorher war ich in der Innenstadt von London, als ich folgende Nachricht erhielt: „Nikki, du wirst Greta kennenlernen.“

Die Überschrift des beiliegenden Artikels lautete: Svante und Greta Thunberg wurden von einem australischen Paar zur Atlantiküberquerung auf seinem Katamaran eingeladen. Es handelt sich um einen „Out-ree-mer“ 45 – Ich kann das Wort „Outremer“ nicht richtig aussprechen. Zur Verstärkung der Besatzung wurde händeringend ein Profiskipper gesucht. Mit anderen Worten: „Nikki. Tausch deine Alltagskleidung gegen einen Trockenanzug und Neopren-Stiefel aus. Du hast 24 Stunden, dich zu entscheiden.“ Das Angebot war wirklich verlockend.

 

Einen Monat später war ich in einem Hotelzimmer in Lissabon und scrollte mehrere Stunden durch verschiedene auf Langfahrten spezialisierte Foren.

Renommierte Segler wie Jimmy Cornell und Sir Robin Knox Johnston hatten unsere Überfahrt befürwortet, aber die Meinungen anderer Profis (und Zuschauer) über unsere Reise waren durchwachsen.

Es erstaunt mich, wie viel überzeugter von sich die Menschen auftreten, wenn sie hinter dem vermeintlich undurchdringlichen Schutz des Bildschirms im Internet unterwegs sind. Von den Be- und Verurteilungen einmal abgesehen, bin ich auch auf eine ausgezeichnete Frage gestoßen:
„Ich bin neugierig, welche Vorbereitungen vor der Atlantiküberquerung getroffen wurden. Man wird ja nicht morgens wach und sagt: Lass uns nach Spanien segeln.“

 

Wie habe ich das nötige Vertrauen gefunden, an Bord zu gehen, abzulegen und die Segel zu setzen, für eine Atlantiküberquerung von 3 000 Meilen außerhalb der Saison, auf einem Boot, das ich nicht kannte und mit einer Besatzung, die ich nicht kannte?

Jeder Segler, der schon einmal eine Ozeanüberquerung unternommen hat, wird Ihnen sagen: Es ist ein Prozess, der leicht mehrere Monate oder sogar Jahre dauern kann, bis man richtig vorbereitet ist. Die Boote haben die Angewohnheit, für jeden abgehakten Punkt zwei weitere auf die To-do-Liste zu setzen. Wartung, Proviantierung, Überprüfungen, Reparaturen, Anpassungen etc. Vielleicht sind wir verrückt, wenn wir meinen, dass wir „bereit“ sind, wo wir doch dabei sind, mit dem unberechenbarsten Wesen der Welt zusammenzuarbeiten: Mutter Natur.

Aber wir gingen tatsächlich auf Nummer sicher. Ich glaube fest daran, dass man aus seinen Erfahrungen lernt – und aus seinen Fehlern! Ich dachte, dass ich Ihnen in meinem ersten Blog erzählen würde, was in diesen fünf Tagen passiert ist. Ich bin sicher, dass wir alle uns irgendwann in einer ähnlichen Situation einer sehr kurzfristig geplanten Abreise befinden.

 

Am Anfang steht die Teamarbeit. Viel Teamarbeit.

Normalerweise braucht man vier Wochen, um eine Atlantiküberquerung vorzubereiten. Zwei Personen, die von Montag bis Freitag von 9:00 Uhr bis 17:00 Uhr arbeiten, also nicht an den Wochenenden, mittags und abends:

• 5 Tage x 7 Stunden x 2 Personen x 4 Wochen = 448 Stunden Arbeit.

In unserem Fall waren wir 7 Personen (ohne die weiteren beteiligten Profis zu zählen: Takler, Techniker, Taucher, das Outremer Team etc.), die fünf Tage Vollzeit gearbeitet haben, von 7:00 Uhr bis 19:00 Uhr (Wetterfenster machen keine Mittagspause!), teilweise mehr.

• 5 Tage x 12 Stunden x 7 Personen = 420 Stunden Arbeit. So kamen wir fast auf die gleiche Stundenzahl!

 

Viele Stunden Vorbereitung

Hier die Liste, die ich vor Beginn jeder Abreise benutze und die ich empfehle:

1. Alles überall durchchecken. Hinweise finden.

2. Worst-Case-Szenarien erwägen.

3. Für jeden dieser möglichen schlimmsten Fälle einen Krisenmanagementplan erstellen.

4. Das Boot mit der für ein Krisenmanagement nötigen Ausrüstung ausstatten.

5. Alles entsprechend dem Krisenmanagementplan auf dem Boot verstauen.

6. Wartung und vorbeugende Überprüfungen einplanen, um Worst-Case-Szenarien zu vermeiden.

 

Zum Beispiel:

Am ersten Tag meiner Ankunft schickte mich Riley Backbord in den Bugraum, um seine Lösung für die Sicherung des Außenbordmotors fertigzustellen: vier D-Ringe, die auf Holzklötzen montiert und mit dem Rumpf verklebt wurden. Zwei Stunden Schleifen, Reinigen und Warten, dass der Kleber trocknet (wörtlich zu nehmen), waren eine hervorragende Möglichkeit, mich mit diesem Raum vertraut zu machen.

Der Bug wird oft zuerst undicht, aber ich habe keine Anzeichen von Wasseransammlungen oder Flecken im Inneren gefunden – ein gutes Zeichen. Ein Auflaufen oder eine Kollision hätte diesen Bereich des Bugs (spitzes Ende) möglicherweise beschädigt, aber ich fand keine Verformung, Delamination oder Haarrisse – ein weiteres gutes Zeichen. Der Raum war aufgeräumt, beschriftet, und es gab keine Kratzer an den Wänden. Riley und Elayna halten also offensichtlich das Schiff gut instand- ein gutes Zeichen!

Während ich mich Backbord mit dem Bug beschäftigte, dachte ich an das Szenario, einen Container zu rammen. Ein Vorfall, der sich fast komplett unserer Kontrolle entzieht, sehr wahrscheinlich katastrophale Folgen hat und mit kleiner Besatzung nur schwer zu bewältigen ist.

Nach dem Trocknen des Epoxids war ich auf Google. Aha! Es schien tatsächlich so, als sei ich in einem der vier wasserdichten „Crash-Schotten“ gewesen. Hervorragend – besonders gut, dass es immer noch wasserdicht zu sein schien. Theoretisch könnten wir einen Container rammen, einen großen Teil des Bugs eines Rumpfes verlieren und trotzdem weiterhin schwimmen. Würden wir mit voller Wucht auf einen Container auffahren, könnte auch der Rest des Rumpfes durch den Aufprall beschädigt werden. Aber ich habe gelesen, dass die innere Struktur des Outremers in den Rumpf laminiert ist. Das bedeutete, dass katastrophale innere Schäden an weiter achtern liegenden Abschnitten weniger wahrscheinlich waren, als ich zunächst befürchtet hatte. Dies erklärte das Fehlen von Rissen in Spinnennetzform, obwohl La-Vaga bereits ungefähr 30.000 Meilen gesegelt ist. Und schließlich hatten wir (um das Offensichtliche auszusprechen) zwei Rümpfe. Für einen Monohullsegler war das natürlich ein großer und ungewohnter Vorteil!! Ich hatte schon Hunderte von Menschen auf Segelbooten mitgenommen, die theoretisch doppelt so anfällig für eine Beschädigung durch halb untergetauchte Objekte waren.

Riley und ich stellten eine Einkaufsliste für Rumpfschäden und Wassereinbrüche zusammen, auf der auch großzügige Mengen an Epoxidkitt mit Unterwasser-Qualität standen. Wir überprüften die Rettungsinsel: unser Plan für den schlimmsten Fall aller Szenarien! Sie war sicher, leicht zu Wasser zu lassen, und wir wollten sie vom Achterdeck aus besteigen. Ich hatte ein wenig Angst, dass ich am Bug sein müsste, um sie auszulösen. Ich denke, wenn ich das Glück hätte, Eigner eines Outremers zu werden, würde ich eine Art Auslösesystem in Betracht ziehen, damit die Rettungsinsel vom Achterdeck aus zu Wasser gelassen werden kann.

Schließlich heuerten wir einen Taucher an, der den Rumpf reinigte und dann auf Risse, eventuell beschädigte Dichtungen, durch den Rumpf gehende Befestigungsstücke und alles andere prüfte, was nicht in Ordnung sein könnte. Er nahm eine Kamera mit und filmte die von ihm kontrollierten Stellen. Wenn es etwas gegeben hätte, das uns Sorgen bereitet, hätten wir das Video an die Outremer-Werft schicken können und die echten Bootsbauer entscheiden lassen.

Wir wiederholten dies für alle wichtigen Bereiche an Bord: das Rigg (Überprüfung an Deck, oben in der Takelung, Winkelschleifer, Sägen etc.), die elektrischen Systeme (Überprüfung der Hauptschalttafel auf Korrosion, Bilgepumpen und Verkabelung, Stromversorgung, Solar und Wasserkraft), den Wassermacher (Wartung und Überprüfung, ob er mit alle Stromquellen funktioniert), die Motoren (Wartung durch einen zugelassenen Volvo-Mechaniker), Kommunikation und Wetter (Überprüfung der Systeme, darunter zwei Satellitentelefone; Verbindung mit erstklassigen Routern), die Segel (gesetzt), die medizinische Versorgung (der Besatzung entsprechend ergänzt). Und wir nahmen außerdem für die Sicherheit von Lenny einige Änderungen vor. Es waren fünf arbeitsreiche Tage!

 

Fünf Tage sind auch für die Vorbereitung der Besatzung sehr kurz. Wie sieht es mit der emotionalen Seite der Vorbereitung auf die Überfahrt aus? Wie haben wir selbst das verarbeitet?

Bisher war ich der Meinung, dass dieser Prozess normalerweise sehr langwierig ist: Man geht Listen im Kopf durch, tauscht sich wochenlang jeden Abend mit anderen Seglern aus und geht Wettervorhersagen, Routenplanung, Checklisten, Reiseberichte von Seglern und Strategien für Stürme durch. Aber wir hatten keine vier Wochen Zeit. Wir hatten fünf Tage.

Ich habe mich gefragt: Waren wir verrückt, so zuversichtlich zu sein? Hatten unsere Kritiker recht?

Es gibt eine Frage, die jeder RYA*-Yachtmaster-Prüfer (*Royal Yachting Association), der über die Zulassung eines Kandidaten entscheidet, kennt: „Würde ich mich wohl dabei fühlen, wenn ich meine Kinder mit ihnen segeln lassen würde?“ Die Tatsache, dass Riley und Elayna bereit waren, ihr kleines Kind mitzunehmen, war ein Zeichen dafür, dass sie Vertrauen in ihr Boot und in sich selbst hatten. Und die Tatsache, dass sie an Bord lebten, hat mich ebenfalls beruhigt. Es ist schwer, größere Probleme zu übersehen, wenn man das ganze Jahr über rund um die Uhr auf dem Wasser lebt.

Mir wurde klar, dass wir alle mehr zu verlieren als zu gewinnen hatten: Die Outremer-Werft und ihre Katamarane hatten ihren Ruf und wir alle hatten unser eigenes Leben – wobei meines (die ich nicht berühmt bin) wahrscheinlich das unbedeutendste war. Andere Profisegler, die sich ebenfalls freiwillig gemeldet hatten, hatten beschlossen, dass diese Überfahrt für sie sicher „genug“ war. Die Überquerung eines Ozeans ist naturgemäß nie zu 100 % sicher.

Die größte Herausforderung bei der Vorbereitung einer Segelyacht auf das Auslaufen – ob in fünf Tagen oder fünf Wochen – besteht zweifellos darin, zu entscheiden, was genug ist. Wann man aufhören sollte. Was man nicht mitnehmen sollte. Was man nicht tun sollte. Wann ist die To-do-Liste der Vorbereitungen zu Ende? Könnten wir jemals „zu gut“ vorbereitet sein – nun, man könnte viel zu spät zur COP25 kommen!

Als ich an diesem Tag auf der Steuerbordseite der La Vagabonde saß – die Sonne ging auf und das Eis schmolz – spürte ich dieses vertraute, ungute Gefühl im Bauch. „Haben wir genug getan?“

Svante stand neben mir und beobachtete die Instrumente. 20-25 Knoten Wind – nicht wenig, aber überschaubar. Ich fragte mich, wie er sich fühlen musste. Ein Vater, der das Leben seiner Töchter drei Fremden anvertraut. Mein Pflichtgefühl war präsenter denn je. Das Gewicht der Verantwortung lastet schwer, bis man auf der anderen Seite des Atlantiks anlegt. Aber letztendlich musste ich – wie wir alle – Vertrauen haben. Ich musste auf unsere fünf Tage vertrauen. Ich musste glauben, dass wir genug getan hatten.